Aus dem Kapitel ‚Windspiel und Ideenjunge (Pachakamaq)‘

Von übelriechendem Müll umgeben, stand Chris plötzlich alleine da. Der Wind hob Plastik und Papier, ließ es wirbeln und tanzen. Er spielte mit den Dosen, da und dort klimperte Blech, quietschte eine Tonne, die sich an einem Eisenstab rieb.
Chris fiel auf, dass diese Geräusche einen eigenen Rhythmus besaßen. Zu seiner Verwunderung wiederholte sich das Klopfen ein zweites und ein drittes Mal.

Die Stangen an der Vorderseite der Mauer hielten die Planen gespannt, der Boden darunter war mit glatten Steinen ausgelegt und von einer halbhohen Ziegelmauer umgeben. Neben einem schmuddeligen Sofa waren einige Matratzen am Boden verteilt. Dahinter standen mehrere Stühle rund um ein altes Weinfass, das als Tisch diente. Überall lagen Stapel von Büchern, Zettel mit Zeichnungen und Notizen herum. Unterhalb der Plane hingen an den überkreuzten Holzstangen ungewöhnliche Spielzeuge und Figuren. Das Erstaunlichste daran: Alles war tatsächlich aus Müll hergestellt.
„Hast du das gemacht? Sind das deine Erfindungen?“, fragte Chris sichtlich beeindruckt.
„Ja sicher! Ich habe sogar etwas erfunden, das sich tagelang bewegen kann, wenn man es einmal antippt.“ Der Junge beobachtete den Europäer mit zusammengekniffenen Augen.
Chris war so beeindruckt, dass er dessen prüfenden Blick gar nicht bemerkte. Fasziniert von den verschiedenen Gebilden, vergaß er alles um sich: Die seltsamen, aus Pappe gebauten Häuser, deren Formen ihn an Zukunftsromane erinnerten, waren akribisch bis ins letzte Detail ausgefertigt.
Seilzüge, behangen mit kleinen Fähnchen, die sich über Rollen unter der Dachplane dahinbewegten, ließen die ganze Hütte lebendig erscheinen und versetzten ihn in eine andere Welt. Da durchfuhr ihn ein Déjà-vu: Seine Träume der letzten Tage kehrten zu ihm zurück.
›Den Jungen kenne ich doch‹, überlegte er. Dann wendete er seinen Kopf und schaute gebannt auf eine rote Plastiktüte, die schwerelos zu schweben schien. Chris fühlte ein leichtes Schwindelgefühl. Schlagartig wechselte der Schauplatz, und da stand der Junge, der ihn auf die Müllberge geführt hatte, vor ihm. Das war doch Nicolas! Jetzt wurde Chris gewahr, dass er beiden im Traum der letzten Nacht schon begegnet war. ›So etwas Groteskes ist mir noch nie passiert …‹

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